PflanzenFachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.

 

Insektenförderung

Insektenschutz in Land- und Forstwirtschaft - zwei neue Projekte mit nachwachsenden Rohstoffen

Am 9. Oktober 2018  übergab Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in Berlin die Zuwendungsbescheide für zwei Projekte, in denen es um die Förderung der Insektenbiodiversität beim Anbau  nachwachsender Rohstoffe geht: Das Verbundprojekt „FInAL“ zielt vor allem auf Insekten in der Landwirtschaft, während beim zweiten Vorhaben Waldinsekten im Mittelpunkt stehen.

Nicht weniger als 5,6 Millionen Euro stellt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für die beiden Vorhaben bereit. Denn, so Klöckner anlässlich der Übergabe der Bescheide: „Unsere Insekten sind systemrelevant. Ihr Schutz hat deshalb hohe Priorität.“ Auch die Ackerbaustrategie, an der das BMEL derzeit arbeitet, lege den Fokus unter anderem auf Insektenschutz und Biodiversität, so die Ministerin weiter. Schließlich wolle sie das Thema auch global angehen und beim nächsten G20-Agrarministertreffen auf die Tagesordnung setzen.

Nachwachsende Rohstoffe, die in Deutschland auf rund 2,6 Millionen Hektar Acker- und auf 11,4 Mio. Hektar Waldfläche wachsen, können einen wichtigen Beitrag zum Insektenschutz leisten.

Projekt I: Förderung von Insekten in Agrarlandschaften durch integrierte Anbausysteme mit nachwachsenden Rohstoffen (FInAL)

Insekten leben nicht auf einzelnen Flächen, sondern in Landschaften. Dem trägt das  Modellvorhaben FInAL Rechnung: Die drei geplanten Landschaftslabore mit je 900 Hektar sind die wahrscheinlich größten zusammenhängenden Flächen, auf denen in Deutschland je Insektenschutz in der modernen Landwirtschaft umgesetzt wurde. Die Maßnahmen, die die Forscher gemeinsam mit Landwirten testen und evaluieren, sollen sich gut in die betriebliche Praxis integrieren lassen. Im Zentrum steht der Anbau nachwachsender Rohstoffe in alternativen Anbausystemen, ergänzt durch begleitende Maßnahmen. Im Ergebnis wollen die Forscher Landwirten, Beratern und Politikern besonders wirtschaftliche und wirksame insektenfördernde Maßnahmen aufzeigen können.

Koordiniert wird FInAL vom Thünen-Institut (TI) für Biodiversität. Neben den wissenschaftlichen Partnern (TI, Julius-Kühn-Institut und ZALF) sind mehrere landwirtschaftliche Betriebe sowie die Landwirtschaftskammer Niedersachsen beteiligt.

Warum die drei Landschaftslabore mit jeweils drei mal drei Kilometer, entsprechend je 900 Hektar, so groß sind, erläutert Prof. Dauber (TI): „Viele Insekten sind Habitatwechsler und benötigen im Tages-, Jahres- oder Lebensverlauf viele verschiedene Lebensräume und Ressourcen für ihr Überleben und ihre Fortpflanzung. Deshalb sind Maßnahmen auf einzelnen Flächen zwar gut, aber nicht ausreichend. Wir prüfen, welche Effekte eine großräumige Veränderung bringt.“ Viel Fläche ist der eine Faktor, Anpassungen auf vielen verschiedenen Ebenen der andere. Denn für den Rückgang der Insekten gibt es nicht DIE EINE Ursache. Konkret sind folgende Maßnahmen in den Landschaftslaboren geplant:

Leitbilder: Unklare, wechselnde und regional nicht untersetzte Ansprüche des Biodiversitätsschutzes u.a. an die Landwirtschaft sind ein Haupthindernis für die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen. Welche Arten genau will ich fördern und welche Faktoren haben zu ihrem Rückgang beigetragen? Je nach Region können die Antworten hier ganz unterschiedlich ausfallen. Um klare Ziele in den drei Landschaftslaboren zu verfolgen, wollen die Wissenschaftler deshalb zunächst mit regionalen Akteuren abgestimmte Leitbilder entwickeln.

Maßnahmenkataloge: Auf Basis dieser Leitbilder werden in einem zweiten Schritt regionale Maßnahmenkataloge erarbeitet. Solche Kataloge haben sich vielfach bewährt. Sie bieten den Landwirten eine gewisse Wahlfreiheit und erlauben, die Maßnahmen bestmöglich in die unterschiedlichen Betriebskonzepte zu integrieren. Zu den möglichen Maßnahmen gehören die folgenden Punkte, die je nach Region ausgestaltet werden:

Nachwachsende Rohstoffe (NawaRos): Ihr Anbau steht im Zentrum von FInAL, denn NawaRos bringen ein großes Potenzial zur Bereicherung der Kulturlandschaft mit. Schließlich eignen sich grundsätzlich weit mehr Pflanzen für die Energie- und Rohstofferzeugung als aktuell für die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln angebaut werden. Einige wie die Durchwachsene Silphie, Wildpflanzenmischungen, schnellwachsende Baumarten, Sida oder Miscanthus sind als Dauerkulturen mehrere Jahre in Folge ohne Neueinsaat nutzbar und erfordern so weniger Bodenbearbeitung - bodenlebende Insekten und Insekten, die bestimmte Entwicklungsphasen im Boden zubringen, profitieren davon. Viele Nawaros benötigen zudem weniger Pflanzenschutzmittel und viele von ihnen blühen und spenden Pollen und Nektar. In FInAL bauen die Landwirte diese NawaRos mit klassischen Ackerkulturen gemeinsam in Fruchtfolgen an oder integrieren sie in Form zusätzlicher Elemente, etwa als Baumreihen. Die Forscher wollen auch untersuchen, wie gefährlich die Ernte eines blühenden Nawaro-Bestandes für blütenbesuchende Insekten ist und wie weniger mobile Arten mit dem plötzlichen Verschwinden des zuvor üppigen Nahrungsangebotes zurechtkommen. Denn bei einigen Kulturen fällt der optimale Erntezeitpunkt in den Zeitraum der Blüte. Bislang gibt es hierzu kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Es gilt, Handlungsanleitungen für eine möglichst insektenschonende Ernte zu entwickeln.

Integrierter Pflanzenschutz: Im integrierten Pflanzenschutz haben nichtchemische Methoden Vorrang vor der chemischen Bekämpfung von Schädlingen, die aber als „letztes Mittel in der Not“ erlaubt bleibt. Die Leitlinien des integrierten Pflanzenschutzes sollen in FInAL konsequent umgesetzt werden. So wollen die Forscher zum Beispiel Nützlinge zur Schädlingskontrolle einsetzen und dazu spezielle nützlingsfördernde Blühstreifen, Zwischenfrüchte und Untersaaten erproben, ebenso wie so genannte TrapCrops. TrapCrops sind für Schädlinge besonders attraktive Pflanzen, die diese von den eigentlichen Kulturen ablenken sollen.

Kontinuierliches Ressourcenangebot und Biotopvernetzung: Lebensräume und Nahrung für Insekten in Form von Blühpflanzen, Hecken, Baumstreifen, Säumen oder Gewässern sollen überall in den Landschaftslaboren aufgewertet oder neu angelegt und miteinander vernetzt werden. Dabei handelt es sich neben den Flächen mit nachwachsenden Rohstoffe auch um ergänzende Biotope oder Landschaftselemente. Angedacht ist auch eine gemeinsame Nutzung spezieller Technik für die Pflege dieser Elemente durch die Landwirte in den jeweiligen Landschaftslaboren.

Bodenruhe: Ergänzend zu NawaRo-Dauerkulturen sollen auch bei den klassischen Kulturen Maßnahmen wie der Anbau von Zwischenfrüchten oder die Einschränkung der Bodenbearbeitung stattfinden, die den Bodenschutz und die Bodenruhe erhöhen. Davon profitieren nicht nur Insekten, sondern auch andere Tiere wie bodenbrütende Vögel, Wildtiere, Kleinsäuger oder Wirbellose.

Während der dreijährigen Projektlaufzeit evaluiert das Wissenschaftlerteam nicht nur die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Insektenvielfalt, sondern auch die dadurch entstehenden Kosten für die Betriebe. Denn ob diese viele Nachahmer finden werden, hängt nicht zuletzt vom finanziellen Aufwand für die Umstellung ab. Außerdem wollen die Forscher die Erkenntnisse auf andere Agrarräume übertragen. Ein zentrales Ziel ist es schließlich, Landwirten, Beratern und Politikern besonders wirtschaftliche und wirksame insektenfördernde Maßnahmen aufzeigen zu können. Dies ist insbesondere auch im Hinblick auf die Neugestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ab 2021 wichtig.

Ein Labor wird voraussichtlich im Havelländischen Luch in Brandenburg eingerichtet, zwei weitere befinden sich noch in Planung.

Informationen zu den einzelnen Teilvorhaben finden sich auf fnr.de/projektfoerderung unter den folgenden Förderkennzeichen:

  • 22012018 - Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei (TI): Koordination, Maßnahmenentwicklung, ökologische und ökonomische Begleitforschung   
  • 22012118 - Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (JKI):  Methodenentwicklung und Maßnahmenumsetzung
  • 22012218 - Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V.: Co-Design, Übertragbarkeit und Begleitforschung         
  • 22012318 - Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK NI): Aspekte des Transfers, Vermittlung und der Begleitforschung

Link zur Projektseite

Professor Jens Dauber vom Thünen-Institut, Koordination Projekt FInAL: „Wir wollen von der Landwirtschaft akzeptierte, auch betriebsökonomisch tragfähige „Landnutzungssysteme“ entwickeln, die Struktur- und Insektenvielfalt systemimmanent erzeugen“. © Thünen-Institut

Projekt II: Erarbeitung, Optimierung und Umsetzung von Schutzstrategien für durch Lebensraumfragmentierung gefährdete Insektenpopulationen mit Maßnahmen eines wirkungsvollen Biotopverbundes in und außerhalb von Wäldern

Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Verinselung und Isolation von Populationen einer der Gründe für das Aussterben von Insektenarten ist. Ein Lösungsansatz ist die Herstellung oder Optimierung von Biotopverbünden. Im Projekt der Landesforst MV wollen die Forscher dabei die im Naturschutz sonst häufige Fokussierung auf jeweils eine Landnutzungsform überwinden und Waldökosysteme im Kontext ganzer Landschaften betrachten und vernetzen.

Die Forscher konzentrieren sich auf Käfer (Coleoptera), Stechimmen (Aculeata, darunter Wildbienen, Hummeln und Wespen) sowie Großschmetterlinge (Macrolepidoptera). Im Projekt werden zwei unterschiedliche Untersuchungsräume festgelegt: Zum einen eine überwiegend und seit langem bewaldete Region, zum anderen eine stark ausgeräumte Agrarlandschaft mit geringem, stark fragmentiertem Waldanteil. In diesen beiden Untersuchungsräumen bestimmen die Forscher an waldtypischen Habitatstrukturen die Vorkommen der drei Insektenartengruppen und vergleichen sie. Im Anschluss erarbeiten sie für beide Untersuchungsräume konkrete Konzepte mit insektenfördernden Maßnahmen. Innerhalb eines Waldes brauchen Insekten z. B. alte Bäume, stark dimensioniertes Totholz, Wärmeinseln, lichte Bestandespartien oder Waldränder und -säume mit blühender Kraut- und Strauchschicht. Diese Strukturelemente gibt es in den Wäldern, sie sind jedoch zum Teil stark vereinzelt und zu weit voneinander entfernt. Um sie wieder stärker miteinander zu verbinden und generell die Lebensbedingungen für Käfer, Wildbienen & Co. zu verbessern, evaluieren die Forscher  gängige forstliche Maßnahmen, zu denen die nachfolgenden, als „insektenförderlich“ geltenden Punkte gehören. Sie stammen aus der Richtlinie „Ziele und Grundsätze einer naturnahen Forstwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern“ und werden im Wald des Bundeslandes  seit 1996 angewandt:

  • wesentliche Erhöhung des Anteils standortgerechter Laubbaumarten
  • Beschränkung des Anbaus ursprünglich nicht heimischer Baumarten
  • Ausnutzung aller geeigneten Möglichkeiten natürlicher Verjüngung
  • Erhöhung des Altholzanteils und Sicherung von Totholzanteilen
  • Schutz von Pflanzen- und Tierarten
  • Einrichtung und Betreuung von Naturwaldreservaten
  • Gestaltung und Pflege der Waldränder
  • vorrangig mechanische und biologische Maßnahmen im Waldschutz

Zusätzlich wollen die Forscher das Konzept für den Untersuchungsraum Wald durch weitere Elemente ergänzen. Das könnte die partielle Wiedereinführung der besonders artenreichen Waldbewirtschaftungsform Mittelwald (Kombination aus Nieder- und Hochwald) sein oder die insektenfreundliche Gestaltung von waldquerenden Trassen, etwa von Straßen, Bahnlinien oder Stromnetzen. Blühstreifen an Verkehrstrassen im Wald können dabei durchaus im Sinne der Betreiber sein, da so die Gefahr umstürzender Bäume sinkt - ein Beispiel dafür, dass Ökonomie und Ökologie im Waldinsektenschutz kein Gegensatz sein müssen. Ein weiteres Beispiel ist die Anlage von Blühbereichen im Wald, die das Gleichgewicht zwischen Nützlingen und Schadinsekten verbessert und so hilft, Pflanzenschutzmittel einzusparen.

Das so entwickelte Wald-Konzept wollen die Forscher auf einigen Demonstrationsflächen praktisch umsetzen.

Zur Aufwertung der Flächen mit geringen Waldanteilen modellieren die Forscher u. a. kartographisch eine Vernetzung von Waldinseln mittels Hecken, Agroforstsystemen, Baumreihen oder Waldstreifen entlang von Straßen, Trassen oder Gewässern. Diese sollen nicht nur der Wiederausbreitung der Insekten dienen, sondern zugleich die Produktion des nachwachsenden Rohstoffes Holz auch außerhalb des Waldes steigern. So ließe sich in einem integrativen Ansatz Biodiversität und Wertschöpfung gleichermaßen fördern. Dieses Konzept wird für eine praktische Umsetzung auf Beispielflächen so weit wie möglich vorbereitet. Dazu nehmen die Forscher auch Kontakt zu möglichen „Partnern des Biotopverbundes“ aus Politik und Wirtschaft auf.

Schließlich sollen die Ergebnisse des Projekts in Form von Materialien für die Waldbesitzerberatung und Waldpädagogik aufbereitet werden.

Informationen zu dem Projekt finden sich auf fnr.de/projektfoerderung unter den folgenden Förderkennzeichen: 22013518

Uwe Gehlhar, Projektleiter von der Landesforst MV (Forstliches Versuchswesen): „Maßnahmen zum Waldinsektenschutz sind ein wesentlicher Beitrag für die Sicherung der biologischen Vielfalt multifunktionaler Wälder. In waldarmen Regionen greifen diese Maßnahmen jedoch zu kurz, wenn das landschaftliche Umfeld nicht einbezogen wird. Die neue Qualität dieses Schutz- und Forschungsprojekts besteht genau darin, die übliche Fokussierung auf jeweils eine Landnutzungsform zu überwinden und Schutzmaßnahmen für die Waldinsektenfauna in einem landschaftlich ganzheitlichen Ansatz des Biotopverbundes zu konzipieren und beispielhaft umzusetzen.“ © B. Gehlhar