PflanzenFachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.

 

Paludikultur

Landwirtschaft auf nassen Moorflächen

 

Klimaschutz, Einkommen und Biodiversität – gemeinsam mit Landwirten

 
In folgenden Bundesländern werden 2024 nasse Moorbewirtschaftung und Paludikulturen gefördert:

Brandenburg – Förderrichtlinie Klima-/Moorschutz - investiv
U. a. Einführung/Erprobung von Verfahren zur Erzeugung und Verwertung von Biomasse aus moorschonender Bewirtschaftung mit wissenschaftlicher Begleitung: Bis zu 60 % bezogen auf die Abschreibung der erworbenen Technik/Technologien. 
https://mluk.brandenburg.de/mluk/de/service/foerderung/fachuebergreifend/rl-klima-moorschutz-investiv/

Bayern – KULAP – Moorschonende Bewirtschaftung „Moorbauernprogramm“ M
U. a. Anbau von Paludikulturen mit Stauziel: 2.200 EUR/ha
https://www.stmelf.bayern.de/foerderung/foerderung-von-agrarumweltmassnahmen-in-bayern/index.html

Landwirtschaft auf nassen Moorflächen nennt man Paludikultur, wie hier beim Anbau von Reet. Bild: Roman_23203, stock.adobe.com

Landwirtschaft auf nassen Moorflächen nennt man Paludikultur. Hier wurde Schilf geerntet. Bild: Roman_23203, stock.adobe.com

Moorböden sind der größte terrestrische Kohlenstoffspeicher. Sie binden mehr Kohlenstoff als alle Bäume in den Wäldern der Erde (Abb.1)!
Auch Deutschland ist ein Moorland: Moore bedecken knapp 1,3 Millionen Hektar unseres Landes. Bis heute wurden sie zu über 95 Prozent größtenteils für die Land- und Forstwirtschaft, aber auch für den Torfabbau trockengelegt. Die Entwässerung galt als wichtige Kulturleistung, die ganze Landstriche für den Menschen erst nutzbar machte.

Heute betrachten wir diese Flächen zunehmend aus einer anderen Perspektive: der des Klimaschutzes. Denn Torf besteht zu etwa 50 Prozent aus Kohlenstoff, der durch die Trockenlegung als Treibhausgas CO2 freigesetzt wird. Zudem speichern Moore Stickstoff, der bei Entwässerung als klimaschädliches Lachgas (N2O) in die Atmosphäre entweicht. Außerdem werden durch die Auswaschung von Nitrat und Phosphat aus entwässerten Moorböden Oberflächengewässer mit hohen Nährstofffrachten belastet.

Moorböden speichern im Torf überdurchschnittlich viel Kohlenstoff. Bei Trockenlegung wird dieser in Form von CO2 frei. Grafik: FNR

Abbildung 1: Moorböden speichern im Torf überdurchschnittlich viel Kohlenstoff. Bei Trockenlegung wird dieser in Form von CO2 frei. Grafik: FNR

Abbildung 2 zeigt, dass ein kleiner Anteil der landwirtschaftlichen Böden für einen Großteil der landwirtschaftlichen Treibhausgas (THG)-Emissionen verantwortlich ist: Gut 7 Prozent der Agrarböden sind entwässerte, kohlenstoffreiche, organische Böden. Dabei handelt es sich überwiegend um Moorböden. Zu den organischen Böden zählen aber auch andere Böden mit einem hohem Kohlenstoffgehalt, zum Beispiel Anmoorgleye. Trockengelegte organische Böden sind für mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft verantwortlich. Damit verursachen Moorböden überproportional viele Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft.
Quellen Abb. 1: Umweltbundesamt (2016): Nationaler Inventarbericht zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990 – 2014; Greifswald Moor Centrum (2016): Stellungnahme des Greifswald Moor Centrum zum Klimaschutzplan 2050)

Abbildung 2, Grafik: FNR

Abbildung 2: Ein kleiner Anteil der landwirtschaftlichen Böden ist für einen Großteil der landwirtschaftlichen Treibhausgas (THG)-Emissionen verantwortlich. Grafik: FNR

Die moorreichen Bundesländer wie Niedersachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Bayern waren einst vielerorts von wassergesättigten Niedermooren geprägt (prägende Pflanzen: Schilf, Seggen, Wollgras, Pfeifengras, Birken etc.). Vor allem in Niedersachsen gab es außerdem auch die nur von Regenwasser gespeisten, ebenfalls immer nassen Hochmoore (prägende Pflanzen: Torfmoose). Alle diese Flächen werden heute überwiegend landwirtschaftlich genutzt, was nur durch Entwässerung möglich ist. Ein weit verzweigtes Netz von Entwässerungs-Gräben ist deshalb für viele norddeutsche Landschaften charakteristisch.

Typische norddeutsche Landschaft mit Entwässerungsgräben Bild: Wolfgang Mücke, stock.adobe.com

Typische norddeutsche Landschaft mit Entwässerungsgräben. Bild: Wolfgang Mücke, stock.adobe.com

Schon gewusst? Torfsackung

Pro Jahr schrumpfen trockengelegte Moorböden um ca. 0,5 bis 2 cm Mächtigkeit, Hauptursache ist die Torfoxidation, bei der ein Teil der Torfsubstanz durch CO2-Emissionen verloren geht. Dies kann über die Jahrzehnte und Jahrhunderte zu einer erheblichen Absenkung des Bodenniveaus führen. Damit wird auch der Abstand zum Grundwasserspiegel geringer, was schließlich eine erneute, tiefere Entwässerung erfordert. Im Anschluss wiederholt sich die Torfschrumpfung. Im Verlaufe dieses Prozesses verschlechtern sich die strukturellen Eigenschaften des Bodens immer mehr, so lange, bis sich die Torfauflage komplett zersetzt hat. U.a. werden die Torfschichten, je weiter unten im Boden sie liegen, immer wasserundurchlässiger, auch die Feldkapazität (Wasserspeicherkapazität) nimmt ab. Dies geht auch zu Lasten der Erträge. Aus Sicht der Landwirtschaft ist zudem die immer aufwändigere Entwässerung problematisch - mit sinkendem Bodenniveau und abnehmendem Gefälle der Gräben kann der Einsatz von Pumpen erforderlich werden. Dies macht die Bewirtschaftung solcher Standorte mitunter sogar unwirtschaftlich.

Paludikulturen = Doppelter Klimaschutz und Wertschöpfung

Die durch Torfoxidation verursachten hohen CO2-Emissionen können nur durch Wiedervernässung deutlich reduziert werden. Wiedernässte Moore sind aber nicht auf herkömmliche Art landwirtschaftlich nutzbar. Deshalb stößt Wiedervernässung gerade in Regionen mit hohem Mooranteil bisher auf eine geringe Akzeptanz der Landwirte. Hier setzt die Paludikultur an. Paludikultur – „Palus“ (lateinisch) steht für „Sumpf“ – ist die land- oder forstwirtschaftliche Nutzung nasser Moorflächen. Paludikulturen unterscheiden sich von einer reinen Wiedervernässung ohne Nutzung (Restauration) also darin, dass sie eine Nutzungsalternative bieten.

In Paludikulturen erzeugt man mit Pflanzenarten, die einen hohen Wasserstand gut vertragen, auf wiedervernässten Moorflächen Biomasse zur Energiegewinnung oder zur stofflichen Verwendung. Der Landwirt bleibt der Bewirtschafter seiner Flächen, was eine deutlich höhere Akzeptanz verspricht. Zudem ist das Treibhausgas (THG)-Minderungspotenzial größer als bei reiner Wiedervernässung: Es werden nicht nur die Emissionen aus der Fläche, sondern auch diejenigen der fossilbasierten Produkte und Energieträger vermieden, die die Paludikultur-Produkte ersetzen. Paludikultur bringt also doppelten Klimanutzen! Auch die Chancen für Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Innovationen sind höher als bei alleiniger Wiedervernässung. Bei Paludikulturen sind Ökonomie und Ökologie auf einer Fläche vereinbar!

Schilf. Foto: L. Reisig

Schilf. Foto: L. Reisig

Paludikulturen zur Energieproduktion

Das Deutsche Biomasseforschungszentrum DBFZ hat den Einsatz von Gras und Schilf in Biogasanlagen untersucht (Endbericht). Praktische Erfahrungen mit der Biogaserzeugung aus Landschaftspflegematerial von Mooren sammelt der südwestlich von Bremen gelegene Hof Wendbüdel des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): Er betreibt eine 50 kW-Biogasanlage (Trockenfermentation), die ausschließlich mit dem Mähgut von insgesamt 140 Hektar Grünland, davon 130 Hektar Feuchtgrünland gefüttert wird. Das Potential von Paludikulturen für Biogas wurde zudem kürzlich in einer Studie von Greenpeace Energy untersucht.

Eine Anlage in Malchin in Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass auch das Heizen mit Niedermoorbiomasse machbar ist. Seit 2014 betreibt die Agrotherm GmbH hier einen 800 kW-Biomasseheizkessel im Malchiner Heizwerk, der mit dem Aufwuchs von rund 300 Hektar Nasswiesen vom Ufer des Kummerower Sees befeuert wird. Bei den Flächen handelt es sich um Naturschutzflächen, die Biomasse besteht v.a. aus Seggen sowie aus Binsen, Rohrglanzgras und Schilf. Die Wärme wird über das örtliche Nahwärmenetz in Malchin an 490 Haushalte, zwei Schulen und ein Bürogebäude verteilt. Die Ernte erfolgt im Zeitraum Juni bis September mit an den feuchten Standort angepasster Technik (Breitreifen, leichte Rundballenpresse mit Tandemachsen). Einmal jährlich zu Mähen und das Mähgut abzufahren ist auch bei anderen Naturschutzflächen üblich. Beim Beispiel der Agrotherm GmbH fällt die Energie gleichsam als Nebenprodukt des Naturschutzes an (und kann zur Kostendeckung der Pflegemaßnahmen beitragen), oder – je nach Sichtweise – der Naturschutz auch als Nebenaspekt der Energiegewinnung.
Die Agrotherm GmbH erhielt für den Bau der Biomasse-Heizung eine Investitionsbeihilfe des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Ohne Investitionszuschüsse ist die Realisierung solcher Anlagen schwierig, da die Anlagenkosten deutlich höher als bei Erdgaskesseln sind. Die besonders klimafreundliche Energiegewinnung könnte jedoch eine Extra-Förderung rechtfertigen.

Ernte von Schilf, Bild: lenscape.org

Ernte von Schilf, Bild: lenscape.org

Stoffstromkette „Thermische Niedermoornutzung“ optimieren und übertragbar machen

Im laufenden Projekt „Optimierung der Biomasseproduktion auf nassen Moorstandorten und deren thermische Verwertung“ (BoNaMoor) wird die thermische Verwertung von Niedermoorbiomasse am Beispiel des Biomasse-Heizwerks Malchin evaluiert. Es werden Verbrennungsversuche mit verschiedenen Brennstoffen in Labor, Technikum und in der Praxisanlage Malchin durchgeführt. Die Forschenden der Universität Greifswald und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin wollen den Erntezeitraum variieren, um verbrennungskritische Inhaltsstoffe zu reduzieren und den Nährstoffaustrag aus dem Moor gezielt steuern zu können. Außerdem stehen eine Wirtschaftlichkeitsanalyse, eine Ökobilanz und die Optimierung der Verwertungskette aus Klimaschutzsicht auf der Agenda.

Wie hier Stroh kann auch Niedermoor-Biomasse thermisch verwertet werden. Bild: satin_111, stock.adobe.com

Wie hier Stroh, kann auch Niedermoor-Biomasse thermisch verwertet werden. Bild: satin_111, stock.adobe.com

Torfmoose als Torfersatzstoff

Ein Beispiel für die stoffliche Nutzung von Rohstoffen aus Paludikultur ist die Verwendung von Torfmoosen als Torfersatzstoff in gartenbaulichen Substraten und Erden. Torfmoose sind die typischen Pflanzen des Hochmoors. Sterben die Moose ab, bilden sie Torf – deshalb ihr Name. Für die Gewinnung als Torfersatzstoff kann man Torfmoose auch auf wiedervernässten Flächen anbauen und ernten. Die Forschung und Entwicklung der Torfmoos-Paludikultur wird seit 2004 durch das BMEL unterstützt.

Dass sich die Torfmoose als Substratrohstoff sehr gut eignen, zeigten zahlreiche pflanzenbauliche Versuche, z.B. mit Zierpflanzen, Kräutern und in der Gemüse-Anzucht. Gemüsesetzlinge wachsen üblicherweise in sogenannten Presstöpfen heran, die durch einen hohen Anteil von stark zersetztem Torf (sog. ‚Schwarztorf‘) formstabile „Erdwürfel“ bilden.In den Versuchen gelang die Herstellung der Erdpresstöpfe mit einem Torfmoos-Anteil von 50% anstelle von Schwarztorf sehr gut, bei anderen Anwendungen z.B. für die Zierpflanzenproduktion ist ein Anteil von Torfmoos-Biomasse von bis zu 100% möglich. 
Gezüchtete Sorten oder Kultivare gibt es bei den verschiedenen Torfmoos-Arten noch nicht, bislang werden nur die Wildformen genutzt. Nach aktuellem Stand bringen diese, kultiviert auf Moorböden in Deutschland, Erträge zwischen 3 und 7 t Trockenmasse (TM) pro Hektar und Jahr. Für eine Kostendeckung des Torfmoosanbaus reicht dies aber bisher nicht. Eine Ertragssteigerung ist das Ziel des noch bis Ende 2021 laufenden Projektes MOOSzucht. Die bisherigen Ergebnisse sind hier vielversprechend, so konnten die Forschenden mit den gesammelten und selektierten Torfmoosherkünften z. B. für die Art Sphagnum papillosum bereits eine Produktivitätssteigerung von 40 % erreichen. Bisher erreicht Sphagnum riparium mit den höchsten Ertrag von den getesteten Torfmoosarten, die Eignung als Torfersatzstoff ist aber noch nicht nachgewiesen. Ein weiteres Ziel von MOOSzucht ist die Entwicklung eines Verfahrens zur Massenvermehrung von Torfmoosen in einem Bioreaktor. Darin werden Klone, also genetisch identische Kopien der Mutterpflanzen vermehrt. Ein solches Verfahren ist wichtig, um ausreichende Mengen des selektierten oder gezüchteten Pflanzenmaterials zur Verwendung als „Saatgut“ zur Etablierung neuer Torfmoos-Paludikulturflächen produzieren zu können. Der Universität Freiburg ist es gelungen, im Rahmen von MOOSzucht 20 vielversprechende Torfmoosarten für die Vermehrung steril im Bioreaktor zu kultivieren. Hierbei stellten sich 6 Arten als besonders produktiv heraus. Sie ließen sich im Reaktor 50 bis 100mal schneller vermehren als unter Freilandbedingungen (1).

Die Universität Greifswald schätzt, dass in Deutschland für den Ersatz von Weißtorf Torfmoose auf etwa 40.000 ha angebaut werden müssten (2). Die Emissionsminderung gibt die Uni Greifswald mit ca. 15 bis 25 t CO2-Äq. je Hektar und Jahr im Vergleich zum entwässerten Hochmoorgrünland an, die Emissionsminderung durch Torfersatz ist hier noch nicht einbezogen (3). Zum Vergleich: Ein Hektar Buchenwald in Deutschland nimmt im Schnitt etwa 12 t CO2 pro Jahr auf (4).

Quellen:

Torfmoose sind die typischen Pflanzen des Hochmoors. Sterben die Moose ab, bilden sie Torf – deshalb ihr Name. Bild: hhelene - stock.adobe.com

Torfmoose sind die typischen Pflanzen des Hochmoors. Sterben die Moose ab, bilden sie Torf – deshalb ihr Name. Bild: hhelene - stock.adobe.com

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die vom BMEL über die FNR geförderten Torfmoos-Projekte.

KurztitelLaufzeitProjektnehmerInhalte (Auszug)
Verbund: MOOSLAND2023 - 2032Uni Greifswald / Stiftung Naturschutz im Landkreis Diepholz / Universität Osnabrück - Fachbereich 01 Kultur- und Sozialwissenschaften / Universität Vechta - Vechta Institute of Sustainability Transformation in Rural Areas (VISTRA) /
Torfwerk Moorkultur Ramsloh Werner Koch GmbH & Co. KG / Carl von Ossietzky Universität Oldenburg - Fakultät V - Mathematik und Naturwissenschaften - Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU) / Landkreis Diepholz - Fachdienst 67 Kreisentwicklung / Landkreis Ammerland
Torfmoos-Paludikultur als nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung von Hochmoorböden
Akronym:
GesaSpAn
2021 - 
2023
mera Rabeler GmbH & Co. KGEntwicklung eines integrierten Gesamtverfahrens zum Sphagnumanbau
Verbund: MOOSZUCHT2017 - 2021Uni Greifswald / Uni Freiburg / Karlsruher Institut für Technologie / Nira GmbHSelektion und Zucht hochproduktiver Torfmoos-Linien; Saatgutproduktion; In-vitro-Kultivierung; biotechnologische Züchtungsverfahren (Protoplastenfusion); Massenvermehrung in Photobioreaktoren; weitere Optimierung des Kulturverfahrens
Verbund: MOOSWEIT2016 - 2019Uni Greifswald und weitere PartnerOptimierung von Anbau und Ernte; Ökonomie; THG-Bilanz; Biodiversität; Hydrologie; Nährstoffe; Erweiterung Praxisfläche auf 14 ha
Verbund: MOOSGRÜN2010 - 2015Deutsche Torfgesellschaft mbH (DTG) / Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) / Hydrotelm und Dr. Dittrich & Partner Hydro-Consult GmbH (Hydrotelm) / Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau Bad Zwischenahn (LVG) / Torfwerk Moorkultur Ramsloh Werner Koch GmbH & Co. KG (MoKuRa) / Dr. Christoph Muster / Universität Rostock / Universität GreifswaldUmsetzung und Optimierung der Torfmoos-Kultivierung; THG-Bilanz; 4 ha Praxisfläche
Torfmoose als nachwachsender Rohstoff2004 - 2007Uni Greifswald / Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung (Bodentechnologisches Institut Bremen)Grundlagenversuche; Kultivierungsversuche von Zier- u. Gemüsepflanzen auf Torfmoossubstrat

Erste Erfahrungen im Praxismaßstab

Im Projekt MOOSWEIT (2016 - 2019) wurden auf einer im Rahmen von MOOSGRÜN 2011 eingerichteten 4 Hektar großen Torfmoos-Paludikultur im Hankhauser Moor erstmals großflächige Ernte- und Regenerationsversuche durchgeführt. Unter anderem fand die weltweit erste maschinelle Ernte einer Torfmooskultur statt, die mit einem Bagger mit Mähkorb vom Fahrdamm aus erfolgte. Die Erträge liegen nach der 1,5-jährigen Etablierungsphase bei durchschnittlich 5 t TM pro Hektar und Jahr. Die Konkurrenz durch unerwünschte Moos- und Gefäßpflanzen in den Torfmooskulturen ließ sich durch die regelmäßige Mahd mit einem Einachser alle 4 - 6 Wochen während der Vegetationsperiode gut kontrollieren. Indessen erfolgt auch die Mahd mittels Bagger und Mähkorb. Perspektivisch sind Maschinen zu entwickeln, die für Mahd und Ernte der Torfmoos-Paludikultur auf dem nassen Moorboden fahren können, ohne diesen zu schädigen, um Fahrdämme zu vermeiden.

Basierend auf den Praxis-Erfahrungen zu Flächeneinrichtung, Management, Ernte und realen Erntemengen wurden Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit einer Torfmoos-Dauerkultur durchgeführt. Bei Verwendung als „Saatgut“ (selbst bei niedrigen Erträgen) und für die Orchideenkultur (bei hoher Torfmoosproduktivität) ist die Torfmooskultivierung kostendeckend. Torfmoos-Biomasse als Substratausgangsstoff kann mit den aktuellen Preisen von Torf nicht konkurrieren. Eine Kostendeckung ist jedoch bereits mit einem Aufschlag von z. B. 10 % auf das gartenbauliche, torffrei produzierte Endprodukt möglich. Kostenreduzierungen durch Optimierung des Produktionsverfahrens (z.B. Flächenvorbereitung, Saatgutproduktion, Aufwand für Pflegemahd) und Skalen-Effekte haben zudem ein großes Potential, den Break-even-Preis zu reduzieren.
Weitere Erkenntnisse aus dem Projekt:

  • Nachbarflächen wurden infolge der Torfmooskultur nicht nasser. 
  • Die Torfmooskultivierung ging mit einer erhöhten Verdunstungskühlung einher, die Hitzeperioden lokal begrenzt abmildern konnte. 
  • Der Torfmoosrasen wies eine konstant gute Nährstoff-Filterwirkung auf. 
  • Sowohl Bewässerungswasser und Atmosphäre als auch Fahrdämme waren potenzielle Quellen für Nährstoffeinträge in die Kulturfläche. 
  • Ammoniumrückstände aus vorheriger Grünlandnutzung ließen sich noch 3 - 5 Jahre nach Flächeneinrichtung nachweisen. 
  • Die Sphagnum-Arten S. fallax, S. palustre, S. riparium und S. squarrosum eigneten sich für nährstoffreiche Bedingungen. S. papillosum und S. austinii gediehen besser unter nährstoffärmeren Bedingungen.

In MOOSWEIT wurde auch die Entwicklung der Biodiversität u. a. am Beispiel des Spinnen-Vorkommens dokumentiert. Im Ergebnis stellten sich in den sieben Jahren von der Flächenetablierung 2011 bis 2018 wertvolle Artengemeinschaften mit einem hohen Anteil spezialisierter und gefährdeter Spinnen-Arten ein, mit einigen wenigen reinen Hochmoor-Spezialisten. Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass Torfmoos-Paludikulturen einen neuen, vom Menschen geschaffenen Lebensraum darstellen, der für Moorarten als wertvoller Ersatzlebensraum dienen kann. Die mittel- und langfristige Entwicklung der Artengemeinschaft ist nicht vorhersehbar und bedarf weiterer Untersuchungen. 
Bei den Pflanzen hatten sich im Verlauf der sieben Jahre zahlreiche hochmoortypische Gefäßpflanzen auf den Flächen angesiedelt, darunter gefährdete Arten wie Rundblättriger Sonnentau, Mittlerer Sonnentau und die Moosbeere. 
Die Brutvogelerfassung ergab u. a. die Brut eines Kiebitzpaares auf den Versuchsflächen.

Torfmoos-Praxisfläche im Hankhauser Moor/Niedersachsen Quelle: Greifswald Moor Centrum

Torfmoos-Praxisfläche im Hankhauser Moor/Niedersachsen, Quelle: Greifswald Moor Centrum

Schilf und Rohrkolben für Bau- und Dämmstoffe

Im Vorhaben Paludikultur in die Praxis bringen steht der Anbau von Schilf und Rohrkolben auf wiedervernässten Niedermoorflächen im Fokus. Die beiden Arten sollen vor allem für die stoffliche Nutzung fit gemacht werden. Als Bau- und Dämmstoffe haben sie ein hohes Wertschöpfungspotential und erbringen durch die Kohlenstoffspeicherung in langlebigen Produkten einen zusätzlichen Klimanutzen. Reststoffe können auch energetisch verwertet werden. Die Forscher*innen untersuchen für verschiedene Schilf-Genotypen und zwei Rohrkolben-Arten, wie sich Biomassemenge und -qualität unter dem Einfluss von Nährstoff- und Wassermanagement verändern. Auch den Themen Wirtschaftlichkeit und rechtliche Rahmenbedingungen widmen sie sich.

Schilf und Rohrkolben für Bau- und Dämmstoffe. Bild: Kalle Kolodziej, stock.adobe.com

Schilf und Rohrkolben für Bau- und Dämmstoffe. Bild: Kalle Kolodziej, stock.adobe.com

Das Projekt zielt auf eine Praxiseinführung dieser Form der Paludikultur. Deshalb spielt die im Projekt eingerichtete, rund 10 Hektar große Praxisfläche eine wichtige Rolle. Sie wurde im September 2019 angelegt und befindet sich in Neukalen in der Nähe des Kummerower Sees. Es wurden Erfahrungen zu Planungs- und Genehmigungsprozessen, großmaßstäbiger Etablierung und Bestandsentwicklung gesammelt. Künftig steht die Paludikultur-Fläche für die Erprobung von spezialisierter Erntetechnik, die Erhebung von Praxisdaten zu Kosten und Erträgen, die Untersuchung von Umwelteffekten sowie für Besichtigungen und Wissenstransfer zur Verfügung.

 

Die im Projekt eingerichtete, 10 ha große Praxisfläche bei Neukalen/MV steht für Besichtigungen zur Verfügung. Quelle: Wichmann

Die im Projekt eingerichtete, 10 ha große Praxisfläche bei Neukalen/MV steht für Besichtigungen zur Verfügung. Quelle: AESA aerial, Juni 2020

Die Fläche wurde im September 2019 angelegt und befindet sich in der Nähe des Kummerower Sees. Quelle: Wichmann

Die Fläche wurde im September 2019 angelegt und befindet sich in der Nähe des Kummerower Sees. Quelle: AESA aerial, November 2020

Für Schilf und für Rohrkolben existieren bereits Nutzungsoptionen: Schilf (Gattungsname Phragmites) ist traditioneller Baustoff für die Dacheindeckung („Reetdach“). Eine im Rahmen von Paludi-PRIMA durchgeführte Analyse der Dachschilfmarktes ergab, dass heutzutage nur ein geringer Anteil des verbauten Schilfs aus Deutschland stammt (2018: 17%) und die Nachfrage nach einheimischem Schilf das Angebot übersteigt. Auf Grundlage der Umfrageergebnisse für das Jahr 2018 wurde ein Gesamtmarktvolumen von Schilf für Reetdächer von 3 ± 0,8 Mio. Bunde mit einem Geldwert von 11,6 ± 2,8 Mio. € ermittelt. Der Anbau von Schilf in Paludikultur sowie die Forschung z. B. zu geeigneten Genotypen und optimiertem Management kann die Verfügbarkeit sowie die Qualität von regionalem Dachschilf in Deutschland verbessern.
Rohrkolben (Gattungsname Typha) ist hingegen als Baustoff noch nicht markteingeführt, bringt für diese Nutzung aber interessante Eigenschaften mit, z. B. als Dämmstoff. Auch hat die Pflanze mit 5 - 20 t TM/ha·a einen hohen Biomasseertrag. Das Fraunhofer Institut für Bauphysik hat einige Projekte mit Typha-Baustoffen durchgeführt und bietet Informationen dazu an: 

Projektseite des Greifswald Moor Centrums: www.moorwissen.de

Neue Verwendung eines alten Baustoffs – die Fassade des im Jahre 2009 in Ahrenshoop (Fischland-Darß-Zingst) errichteten EFH besteht zu 100 Prozent aus Schilf. Foto: FNR/R. Görnhardt

Neue Verwendung eines alten Baustoffs – die Fassade des im Jahr 2009 in Ahrenshoop (Fischland-Darß-Zingst) errichteten Einfamilienhauses besteht zu 100 Prozent aus Schilf. Foto: FNR/R. Görnhardt

Biodiversität im Niedermoor

Im Projekt KLIBB („Klimaschonende, biodiversitätsfördernde Bewirtschaftung von Niedermoorböden“) der Universität Greifswald, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde wurde eine Literaturstudie zu den Auswirkungen von Paludikulturen auf die Biodiversität in Niedermooren durchgeführt. Die Wissenschaftler*innen ziehen das Fazit, dass bei tiefentwässerten, intensiv genutzten Acker- und Grünlandflächen auf Niedermoor die Wiedervernässung zu einer deutlichen Steigerung von niedermoortypischer Biodiversität führt. Auch die Wiederansiedlung von seltenen und gefährdeten Arten sei möglich. Die Bewirtschaftung durch Mahd und/oder Beweidung kann neue Habitate schaffen bzw. erhalten, v. a. für wärme-, lichtliebende und Offenlandarten. Allerdings werden auch Arten, die auf das Vorhandensein einer Streuschicht angewiesen sind und Schatten bevorzugen, gehemmt. Biodiversitätsfördernde Maßnahmen wie die Anlage von Rotationsbrachen, die Verwendung von oszillierender Mahdtechnik und die Einhaltung angepasster Nutzungszeiträume können positive Effekte verstärken und hemmende abmildern.

Seggenrohrsänger sind Spezialisten der Feuchtwiesen in Niedermooren und eine der am stärksten bedrohten Singvogelarten Europas. Quelle: Karin Jähne, stock.adobe.com

Seggenrohrsänger sind Spezialisten der Feuchtwiesen in Niedermooren und eine der am stärksten bedrohten Singvogelarten Europas. Quelle: Karin Jähne, stock.adobe.com

Die zeitnahe Wiederherstellung natürlicher Niedermoorökosysteme durch Paludikulturen sei nicht zu erwarten, so die Forscher*innen, da durch die Entwässerung bodenphysische und biochemische Eigenschaften der Torfe irreversibel verändert wurden. Für einige typische Niedermoorarten wie z. B. den Seggenrohrsänger fehlen darüber hinaus mögliche Quellpopulationen in Deutschland. 
Wenn man die i. d. R. vor der Wiedervernässung erfolgte intensive Acker- bzw. Grünlandnutzung als Referenz nimmt, kann man jedoch von einer deutlichen Steigerung der Wertigkeit für die Biodiversität durch Paludikulturnutzung ausgehen. Wichtig sind weitere Pilotflächen mit Vorher-Nachher-Untersuchungen.

Auch die Bekassine ist ein typischer Bewohner der Niedermoore. Foto: foto_tech, stock.adobe.com

Auch die Bekassine ist ein typischer Bewohner der Niedermoore. Foto: foto_tech, stock.adobe.com

Erste Paludi-Produkte und weiterführende Informationen

Verschiedene, teilweise bereits markteingeführte Verwertungsmöglichkeiten von Biomasse aus nassen Mooren wurden in der Veranstaltung "Verwertungsmöglichkeiten von Biomasse aus nassen Mooren" vorgestellt.

Umfassende Informationen zum Thema bietet die Seite des Greifswald Moor Centrums.

Hier ist der Newsletter des Greifswald Moor Centrums zu finden: https://www.greifswaldmoor.de/paludikultur-newsletter.html