PflanzenFachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.

 

Wärme aus Schilf & Co.

Praxisbeispiel Malchin

Die ländliche 7.000-Einwohner-Stadt Malchin in Mecklenburg-Vorpommern verbindet Klima- und Moorbodenschutz mit der Wärmeversorgung – sie nutzt den Aufwuchs revitalisierter Niedermoore als Energieträger für das städtische Fernwärmenetz. Um die steigenden CO2-Abgaben für fossile Energien abzudämpfen, will der Fernwärmelieferant den Anteil der Biowärme in diesem Jahr noch deutlich steigern und vorhandene Ressourcen nutzen.

Wir sprachen mit Axel Müller, Bürgermeister von Malchin.

 

Herr Müller, wie ist die Idee entstanden, in Ihrem Ort bei der Energieversorgung neue Wege zu gehen und u. a. auf Biomasse zu setzen?

Die Stadt Malchin liegt in einer langgestreckten Niedermoorsenke zwischen dem Malchiner und dem Kummerower See. Der Torfabbau hatte hier eine jahrhundertealte Tradition. Intakte Niedermoore sind jedoch natürliche CO2-Senken. Unter diesem Gesichtspunkt verfolgt die Landesregierung das Ziel, auch vor dem Hintergrund des Klimaschutzes, die großen Niedermoorflächen zwischen dem Malchiner und Kummerower See und an der Peene wieder zu vernässen bzw. die nasse Grünlandbewirtschaftung zu fördern. In der Folge steigt der Wasserspiegel an und die Futtergräser werden durch Pflanzen wie Schilf, Erlen oder Nasswiesengräser verdrängt. Diese sind aufgrund ihrer holzigen Struktur zwar nicht als Futtermittel, dafür aber als Brennstoff geeignet. So entstand die Idee, diese Biomasse für die Wärmeerzeugung zu nutzen.

Welche Akteure waren an dieser Entscheidungsfindung beteiligt?

Wir  verdanken den Bau unseres Heizwerkes einer gemeinsamen Initiative von Wissenschaftlern der Universität Greifswald, der Stadtverwaltung und -vertretung, engagierten und interessierten Bürgern der Stadt, dem Land, unserem langjährigen Fernwärmewärmeversorger energicos und der Agrotherm GmbH als Betreiber und Inhaber des Biomasseheizwerkes.

Porträtbild des Malchiner Bürgermeisters Axel Müller. Foto: Thomas Koch

Axel Müller (CDU) ist seit dem 1. November 2015 Bürgermeister der Kleinstadt Malchin in Mecklenburg-Vorpommern. Foto: Thomas Koch

Wie schätzen Sie den Erfolg der Anlage im Betrieb ein? Wie ist die Akzeptanz der Bevölkerung?
Der Bau dieses Heizwerkes war genau die richtige Entscheidung für Malchin. Im Laufe der inzwischen neun Betriebsjahre haben wir zusätzliche neue Technologien nachgerüstet, beispielsweise ein hocheffektives Filtersystem. Damit wird sichergestellt, dass es für Anwohner zu keinerlei Geruchsbelastung kommt. Der Betrieb der Anlage war von Anfang an wirtschaftlich. Und die jüngste Preisexplosion bei den fossilen Brennstoffen hat noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt: Zukunftsfähige Wärmeversorgung kann nur mit dem Einsatz erneuerbarer Energien gelingen. Wir konnten so den Erdgasanteil an unserer Wärmeversorgung drastisch senken. Auch die steigenden CO2-Abgaben sprechen für die Wirtschaftlichkeit dieser Lösung. Und für den Klimaschutz ist die Wärmewende ohnehin erforderlich.

Welche Erfahrungen haben Sie im Bereich der Lieferanten und Verträge gemacht? Worauf gilt es zu achten?

Die für den Betrieb notwendigen Paludikulturen (Pflanzen von wiedervernässten Moorflächen, die als Rohstoff oder Energieträger dienen – Red.) aus unserem Niedermoor stehen in ausreichender Menge zur Verfügung. Bei Bedarfsspitzen nutzen wir ergänzend Holzhackschnitzel. Hier setzen wir bewusst auf lokale und regionale Zulieferer und haben uns mit der Zeit ein dichtes und sehr zuverlässiges Lieferantennetz aufgebaut.

Wiese, auf der Heu gemäht wurde und zum Trocknen auf dem Boden liegt. Foto: Wendelin Wichtmann

Heubereitung im nassen Moor bei Neukalen nahe Malchin. Foto: Wendelin Wichtmann

 

„Die Kooperation zwischen Kommune und örtlicher Landwirtschaft kann für beide Seiten gewinnbringend sein.“

Axel Müller, Bürgermeister Malchin

 

Würden Sie mit Ihren heutigen Erfahrungen die Anlage neu konzipieren, was würden Sie anders machen? Welche Hinweise können Sie Interessenten aus anderen Kommunen an die Hand geben?

Grundsätzlich würden wir die Anlage heute wieder so bauen. Kommunen, die über Niedermoorflächen verfügen, sollten beachten, dass dieser Brennstoff besondere Anforderungen an die Verbrennungstechnik stellt. Das führt zu höheren Planungs-, Genehmigungs-, Investitions- und Personalkosten gegenüber einer herkömmlichen Anlage. Wir selbst haben seit Betriebsbeginn 2016 eine steile Lernkurve durchlebt und würden die eine oder andere Komponente heute anders verbauen – Stichwort Feuerrostlänge. In jedem Fall braucht man einen erfahrenen Partner an der Seite, das war in unserem Fall die Agrotherm GmbH.

Zu erwähnen ist auch, dass die Kooperation mit der örtlichen Landwirtschaft für Kommunen in Regionen mit hohen Niedermooranteilen Perspektiven bereithält. Das Thema Wiedervernässung von Mooren wird ja zukünftig vor dem Hintergrund des Klimaschutzes in niedermoorreichen Bundesländern eine Rolle spielen. Viele dieser Flächen sind heute für die Landwirtschaft entwässert und die Eigentümer oder Pächter brauchen Alternativen für die Vermarktung ihrer Produkte bei einer künftig nassen Grünlandbewirtschaftung. Wenn sie da mit einer Kommune zusammenarbeiten und dieser Brennstoffe liefern können, kann das für beide Seiten gewinnbringend sein.

Heuernte mit Traktor und Ballenpresse mit bodenschonender Tandemachse. Foto: Wendelin Wichtmann

Bodenschonend: Tandemachse an modifizierter Ballenpresse bei der Heuernte in Neukalen. Foto: Wendelin Wichtmann

Aktuell steigern Sie den Biomasseanteil an der städtischen Wärmeenergie gerade von 25 auf 75 Prozent. Warum und: Reicht die Paludibiomasse dafür aus?

Wir haben bereits 2021 mit unserem Fernwärmeversorger über die Verlängerung und Anpassung unseres Fernwärmeliefervertrages gesprochen, mit dem Ziel, die angekündigte CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe im Interesse unserer Kunden so gering wie möglich zu halten. Da wir über die notwendigen Flächen für die Bereitstellung der Biomasse wie auch die notwendigen Kapazitäten in unserem Biomasseheizwerk verfügen, klappt die Umstellung seit dem 1.1.2023 problemlos. Perspektivisch wollen wir den Erdgasanteil weiter verringern. Flächen zur Gewinnung von Biomasse zur energetischen Verwendung gibt es mehr als genug: In einem Umkreis von 20 km um die Stadt Malchin existieren fast 4.600 Hektar Niedermoorflächen.

Heurundballen in großen metall-Greifzangen - einem sogenannten Ballenauflöser. Foto: Wendelin Wichtmann

Im Ballenauflöser wird das Paludi-Halmgut vom Ballen abgenommen und per Förderschnecke dosiert dem Heizkessel zugeführt. Foto: Wendelin Wichtmann

STECKBRIEF

Ort: Malchin im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern

Anzahl angeschlossener Gebäude: ca. 490 Wohnungen, zwei Schulen, mehrere Bürogebäude.
2023: Verbindung der beiden Fernwärmenetze der Stadt und Steigerung des Anteils regenerativer Energien von 3.500 MWh/a auf 16.000 MWh/a. Davon künftig 5.500 MWh/a aus Niedermoorbiomasse. Aktuell Gespräche mit Eigenheimbesitzern bezüglich zusätzlicher Fernwärmeanschlüsse.

Fernwärmenetz: 2022 1,6 km und 4,6 km, künftig: 8,0 km (Da beide Netze verbunden und um etwa 1,8 km erweitert werden)

Leistung Bioenergie-Anlagen: Biomasseheizkessel aktuell 800 kW, künftig: 2.400 kW

Anteil der Energiequellen an der Wärmeversorgung:

Bis 2022: Biomasse 25 %, Erdgas 75 %.
Anteile Bioenergieträger bis 2022: 20 Prozent Niedermoorbiomasse, 5 Prozent Holzhackschnitzel.
2023: 75 % Biomasse, 25 % Erdgas.
Anteile Bioenergieträger 2023: Ca. 26 Prozent Niedermoorbiomasse, ca. 49 Prozent Holzhackschnitzel.

Holzverbrauch: 60 Tonnen/Jahr, Anlieferung aus einem Umkreis von 20 Kilometer.
Ab 2024: 2.200 Tonnen/Jahr, Anlieferung aus einem Umkreis von 50 Kilometer.

Verbrauch Halmgut: 1.200 t/a, Anlieferung aus 20 km Umkreis
Ab Ende 2023: 1.900 t/a, Anlieferung aus 30 km Umkreis

Wärmepreis aktuell: 20 Ct./kWh

Jahr der Inbetriebnahme des Biomassekessels: 2014, Fernwärmenetz 1985

 

 
WIRTSCHAFTLICHKEIT VON HALMGUTHEIZWERKEN

Neben Paludibiomasse eignen sich auch Stroh aus der Getreideernte und Heu aus der Landschaftspflege als Brennstoff für Biomasseheizwerke, hier gibt es in einigen Regionen große, ungenutzte Biomassepotenziale. Paludibiomasse, Stroh und Heu haben den Vorteil niedriger Brennstoffkosten.

Trotz höherer Planungs-, Genehmigungs-, Investitions- und Personalkosten im Vergleich zu Erdgasheizungen ergeben sich – eine hohe Anlagenauslastung vorausgesetzt – wettbewerbsfähige Wärmegestehungskosten einer Halmgutheizung. Für Malchin zeigen Berechnungen, dass ab jährlich 4.000 Volllaststunden und einem Erdgas-Brennstoffpreis von etwa 65 Euro pro MWhHU die Wärmegestehungskosten mit Nasswiesenheu günstiger ausfallen. Ende April betrug der Erdgaspreis über 100 Euro/MWhHU.

Der 2020 erschienene „Leitfaden Halmgutheizwerke – Wirtschaftlichkeit und Planungsrichtwerte“ der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern (LFA) zeigt Perspektiven für eine (Nah-)Wärmeversorgung mit Halmgut auf, konnte aber noch nicht auf die aktuell veränderte Preissituation eingehen.