Workshop 2021
Der nachfolgende Artikel zum Workshop wurde in Kurzform in der TASPO veröffentlicht:
Mit Pflanzenpower gegen pathogene Pilze und mehr
Die Nachfrage nach pflanzlichen Arzneimitteln und nach pflanzlichen Inhaltsstoffen für Kosmetika, Körperpflegeprodukte, Nahrungsergänzungs- oder Tierfuttermittel steigt aufgrund der sich verändernden gesellschaftlichen Sichtweisen und Ideen. In einer Studie der IMS HEALTH GmbH wird das jährliche Wachstum der Phytomärkte auf 10 Prozent geschätzt. Dem gegenüber stagniert der heimische Anbau von Arznei- und Gewürzpflanzen seit Jahren bei etwa 13.000 Hektar. Die Bundesregierung setzt darauf, die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors zu verbessern, um Neueinsteiger für den Anbau zu gewinnen. Sie fördert Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsprojekte und unterstützt die Kommunikation zum Thema, zum Beispiel über das Bernburger Winterseminar. Alle Beteiligten müssen sich jedoch darüber im Klaren sein, dass dies ein langfristiger Prozess ist.
Aus Sicht der Politik sprechen die potenziell hohe Wertschöpfung, die Rohstoffproduktion für einen wachsenden, innovativen Markt – Stichwort Bioökonomie – und die Steigerung der Biodiversität auf dem Acker für das Thema. Aus Sicht der Landwirte und Gärtner wirken sich die hohen Anforderungen bei Kultivierung und Aufbereitung und der hohe Arbeitskräftebedarf hemmend aus, während die Wertschöpfung und die zusätzliche Option für die Fruchtfolge Pluspunkte sind. Hier könnten phytosanitäre Aspekte in der Bodenbewirtschaftung künftig einen weiteren Bonus für den Landwirt darstellen, denn ähnlich wie bestimmte Zwischenfrüchte vermögen auch einige Arznei- und Gewürzpflanzen-Arten die Verbreitung pflanzenpathogener Erreger zu unterbinden. Das Wissen auf diesem Gebiet steht erst am Anfang. Aus Sicht der Abnehmer, die einer pharmazeutischen, kosmetischen bzw. lebensmitteltechnischen Qualitätsüberwachung unterliegen, sind Rohstoffe aus Deutschland aufgrund ihrer lückenlosen Rückverfolgbarkeit und der Anbauüberwachung im kontrolliert integrierten oder ökologischen Anbau interessant und ein höheres Preisniveau kalkulierbar.
Die „Nachwuchsgruppe Arzneipflanzen“ (NWG) am Julius-Kühn-Institut unterstützt das Ziel im Sinne der Bundesregierung, die Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Arznei- und Gewürzpflanzenanbaus zu verbessern. Die Jungforscher und –forscherinnen konzentrieren sich auf die Arten Anis, Johanniskraut, Süßholz und Arzneihopfen. Während Anis und Johanniskraut züchterisch optimiert werden sollen, beschäftigt sich die NWG kulturübergreifend mit pilzlichen Pflanzenkrankheiten und untersucht die Eignung spezieller Pflanzenextrakte aus Süßholz und Hopfen als Fungizid im nicht-chemischen Pflanzenschutz. Ein weiter übergeordnetes Ziel ist, den akademischen Nachwuchs im Bereich dieses Nischenthemas zu fördern. Die NWG wird seit 2020 für zunächst drei Jahre vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über den Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert. Am 22. Februar stellte sie in einem Online-Workshop einen Zwischenstand ihrer Arbeit vor.
Alle JungforscherInnen freuen sich über Rückmeldungen aus der Praxis, um deren konkrete Fragestellungen in ihre Forschungsarbeiten aufzunehmen. Die Email-Adressen finden sich jeweils am Ende der Zusammenfassungen der Vorträge.
Zu Beginn analysierte Urs Hähnel aus der NWG den aktuellen Status Quo und stellte die Frage, warum nicht mehr Landwirte in den Arzneipflanzenanbau einsteigen. Die vermutliche Antwort ist vielschichtig. Die Ursachen liegen in der Beherrschung des Risikos bzw. der Kompensation der finanziell negativen Effekte, die sich im Deckungsbeitrag wiederspiegeln. Dieser schwankt bei Arzneipflanzen sehr viel stärker als bei konventionellen Ackerfrüchten wie Winterweizen. Unter guten Rahmenbedingungen fällt er deutlich höher, unter schlechten auch sehr viel niedriger aus (Tabelle 1). 2010 und 2011 waren schon einmal sehr trockene Jahre, die zu geringen Erträgen und teilweise deutlich negativen Deckungsbeiträgen führten. Diese geben einen Eindruck davon, wie hoch das wirtschaftliche Risiko in Jahren mit schwierigen Rahmenbedingungen ist.
Die Nachfrage sei hingegen nicht das Problem, so Urs Hähnel, denn der Bedarf an Rohdrogen falle weit höher als die inländische Produktion aus (Abbildung 1). Tatsächlich existieren in Deutschland einige bedeutende Unternehmen der Arzneipflanzenverarbeitung, die allerdings überwiegend importierte Rohstoffe nutzen. Unterm Strich liegt die zögerliche Haltung der Landwirte somit am höheren Anbaurisiko. Dazu tragen neben den schwankenden Erträgen und Deckungsbeiträgen auch fehlende Pflanzenschutzmittel, der Bedarf an speziellen Erntemaschinen und die kostenintensive Trocknung bei. Der höhere Arbeitskräftebedarf, der nicht immer leicht zu decken ist, spielt ebenfalls eine Rolle.
Kontakt: urs.haehnel(bei)julius-kuehn.de
Anne-Marie Stache berichtete in ihrem Vortrag zu ihren Arbeiten mit Anis (Pimpinella anisum). In Deutschland wird die Pflanze derzeit auf etwa 100 Hektar angebaut, um die Früchte und das ätherische Öl zu gewinnen und daraus Tees, Gewürze, Spirituosen (z.B. Ouzo), Süßigkeiten und Aromastoffe herzustellen. Die aktuell in Deutschland verarbeiteten 1.500 Tonnen Rohdrogen entsprechen theoretisch einer Anbaufläche von 2.500 Hektar. Welche Gründe gibt es, in den Anis-Anbau einzusteigen? Aus Sicht von Anne-Marie Stache eine ganze Menge: Der Doldenblütler ist trockentolerant, benötigt wenig Dünger, fördert Insekten und hier insbesondere Bestäuber und Nützlinge wie Schwebfliegen (deren Larven Blattläuse vertilgen), erweitert die Fruchtfolge und begünstigt als Sommerung die mechanische Bekämpfung resistenter Gräser. Schließlich ist die Nachfrage des Marktes nach Anis-Qualitätsware sehr hoch.
Anne-Marie Stache hat im NWG-Projekt bereits 22 Herkünfte aus Europa, dem Nahen Osten, Nordafrika und Indien von der bundeszentralen Ex-situ-Genbank in Gatersleben bekommen, deren Inkulturnahme für 2021 geplant ist. Die Bestände werden dann nach diversen Merkmalen wie Ertrag, Ätherischölgehalt und -qualität, Befall mit Krankheiten und Geschmack bonitiert. Mit den vielversprechendsten Kandidaten will die Jungforscherin über sogenannte synthetische Sorten eine beschleunigte Züchtung auf den Weg bringen. Dazu sind aus dem mischerbigen Fremdbefruchter Anis über Gewebekultur reinerbige Genotypen (Doppelhaploide) mit guten Eigenschaften als Elterngeneration zu erzeugen. Diese geben ihre Eigenschaften deutlich stabiler an die nächste Generation weiter und können die Basis neuer, verbesserter Sorten darstellen.
Ahmed El Menuawy widmete sich in seinem Vortrag dem Johanniskraut (Hypericum perforatum). Die Pflanze zählt zu den 8 wichtigsten Arzneikräutern im deutschen Anbau (2019 etwa 110 Hektar). Nicht weniger als 52 Phytopharmaka und 26 Homöopathika beruhen auf Zubereitungen aus Johanniskraut. Die jährliche Nachfrage in Deutschland liegt bei 580 Tonnen Rohdroge. Dem Anbauer verspricht die Kultur zusammen mit Sonnenhut die höchste Wertschöpfung pro Flächeneinheit, Voraussetzung ist jedoch eine sehr gute Qualität. Bei der Ernte entscheidet der Zeitpunkt maßgeblich über das Wirkstoffprofil: Je früher, desto mehr Hypericin und je später, desto mehr Hyperforin befindet sich im Erntegut. Beide Wirkstoffe werden vom Markt nachgefragt. Bis zu zwei Mal im Jahr kann man die Blühhorizonte schneiden. Nach dem Schnitt sind die Pflanzen allerdings anfällig für die Johanniskrautwelke, die im schlimmsten Fall zum kompletten Bestandsausfall führt.
Zu Ahmed El Menuawys Arbeitspakten im NWG-Projekt zählen die Erstellung einer Materialsammlung mit unterschiedlichen Genotypen und deren Bonitierung sowie Anbauversuche zur Ermittlung optimaler Erntezeitpunkte für die beiden Hauptwirkstoffe. Um Johanniskraut gezielt züchterisch bearbeiten zu können, sollen molekulare Marker für Resistenzen gegen die Johanniskrautwelke (Colletotrichum gloesporioides) und für die Biosynthese relevanter Inhaltsstoffe gefunden werden. Mit den Markern lässt sich die Selektion vom Phäno- auf den Genotyp verlagern und die Züchtung stark beschleunigen.
Abschließend berichtete El Menuawy von der Zusammenarbeit mit den Universitäten Rostock und Oslo/Norwegen. Gemeinsam wollen die Wissenschaftler Wirkungen des Johanniskrauts bei Krebs- und neurodegenerativen Erkrankungen untersuchen und Erkenntnisse sammeln, um die medizinisch-pharmazeutischen Forschung voran zu bringen. Hinweise auf Effekte und bei Krebs sogar in-vitro-Nachweise sind bekannt. Die Wissenschaftler interessiert, welche Inhaltsstoffe genau beteiligt sind und wie diese interagieren.
Kontakt: ahmed.menuawy(bei)julius-kuehn.de
Lana-Sophie Kreth arbeitet in der NWG zum Thema „Pilzliche Schaderreger“ bei Anis und Johanniskraut. Diese bewirken nicht nur Ernteausfälle, sondern können über ihre Stoffwechselprodukte, wie z.B. die Mykotoxine, auch gesundheitsschädlich sein. Das Wissen zu Schadpilzen ist gerade bei Arznei- und Gewürzpflanzen noch sehr begrenzt. Laan-Sophie Kreth will in der NWG die auf Anis- und Johanniskraut-Blättern vorkommenden Pilze morphologisch und molekularbiologisch charakterisieren und in eine Pathogen-Datenbank aufnehmen. Schadpilze treten auch im Saatgut auf. So zählen u. a. Colletotrichum-Spezies zu den samenbürtigen Pilzen. Sie verursachen die wirtschaftlich bedeutende Johanniskrautwelke und an vielen weiteren Pflanzenarten Anthraknosen. Bei Pilzinfektionen im Saatgut sind die üblichen Nachweismethoden sehr unsicher. Kreth plant hier die Nutzung molekularbiologischer Methoden, um Colletotrichum-Infektionen anhand ihrer DNA-Spuren nachzuweisen - eine neue Herangehensweise, die bei Arzneipflanzen-Saatgut eine einfache und schnelle Bestimmung von Schaderregern ermöglichen würde, damit nur gesundes Saatgut verwendet wird. Schließlich steht auch die Bekämpfung von Pathogenen mittels nicht-chemischer Pflanzenschutzmittel auf der Agenda. Kreth will mikrobiologische Präparate und Pflanzen-Extrakte (z.B. Süßholz-Extrakte) gegen blattpathogene Pilze testen.
Sophie Bliedung berichtete zu ihren Arbeiten mit der Gattung Süßholz (Glycyrrhiza), die Potenzial für den biobasierten Pflanzenschutz mitbringt. Die meisten Süßholz-Arten sind im Mittelmeerraum und in Asien heimisch, doch es gibt auch Vertreter in Nord- und Südamerika und Australien. Noch vor etwa 100 Jahren wurde die Pflanze (Vertreter der Glycyrrhiza glabra) auch in Deutschland im Bamberger Raum kultiviert. Weil Süßholz sehr tolerant gegenüber Schwankungen von Temperatur und Wasserangebot ist, könnte die Pflanze im Zuge des Klimawandels wieder interessanter für den heimischen Anbau werden. Zudem wächst Süßholz auch auf sandigen Böden. Während traditionell der Wurzelsaft etwa zur Herstellung von Lakritz verwendet wird, interessiert sich Sophie Bliedung für die Inhaltsstoffe der Blätter. Dass diese eine fungizide Wirkung haben, die zum Beispiel Braunfäule an Tomaten zu 100 Prozent mindern kann, ist schon länger bekannt. Die genauen biochemischen Zusammenhänge sind noch unklar, ihnen ist Bliedung im Rahmen des NWG-Projektes auf der Spur. Sie hat bereits verschiedene Glycyrrhiza-Arten in Kultur genommen und deren chemische Zusammensetzung analysiert („chemotypisiert“). Im Ergebnis zeichnen sich viele Süßholz-Arten durch ein sehr komplexes Inhaltsstoffprofil mit mehreren 100 Verbindungen aus. Nun gilt es zunächst im Labor („in vitro“) zu analysieren, welches Profil mit welcher Hemmwirkung verbunden ist und die wirksamen Bestandteile zu isolieren. Daraus will die Jungforscherin dann Formulierungen entwickeln und an lebenden, von Schadpilzen befallenen Pflanzen testen („in vivo“).
Bestrebungen, Pflanzenschutzmittel auf Süßholz-Basis zu entwickeln, gab und gibt es mehrere, etwa von den Firmen Syngenta oder Trifolio-M. Noch wird kein Produkt auf dem Markt angeboten. Sophie Bliedungs Arbeiten können dazu beitragen, dies zu ändern.
Kontakt: sophie.bliedung(bei)julius-kuehn.de