PflanzenFachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.

 

Workshop 2022

Auf der Suche nach Wirkstoffen gegen Schadpilze und Alzheimer

Am 21. Februar stellte die NWG-Arzneipflanzen zum 2. Mal einen Zwischenstand ihrer Arbeit in einem Online-Workshop vor, den über 100 Interessierte verfolgten. 

 

Anis

Anis (Pimpinella anisum) gehört zu den in Deutschland stark nachgefragten Arzneipflanzen bei gleichzeitig sehr geringem Deckungsgrad – so stammte 2011 nach Schätzungen der „Marktanalyse Nachwachsende Rohstoffe“ (FNR 2014) nur ein Prozent der von der Industrie benötigten Anismenge aus heimischem Anbau. Aniskörner enthalten 2 bis 6 Prozent ätherisches Öl mit nachgewiesener antibakterieller, antiviraler, fungizider und insektizider Wirkung.

Gleichzeitig hat die einjährige Pflanze interessante agronomische Eigenschaften: Sie ist trockentolerant, benötigt wenig Dünger, fördert Insekten, begünstigt als Sommerung die mechanische Bekämpfung resistenter Gräser und kann die Fruchtfolgen bereichern.

In der NWG-Arzneipflanzen befasst sich Anne-Marie Stache mit Anis. Sie räumte auf dem Workshop ein, dass es sich bei allen Vorteilen um keine einfache Kultur handele: Saatgut ist kaum verfügbar und wenn, wird es meistens im Mittelmeerraum produziert und ist nur bedingt an unseren Klimaraum angepasst. Zudem gibt es keine Sorten und insofern keine definierten, reproduzierbaren Qualitäten – eine in einem Jahr gute Saatgutquelle kann im Folgejahr unter Umständen auch schlechte Qualitäten liefern.

Anisblüte mit Honigbiene. Anne-Marie Stache/Julius Kühn-Institut

Anis blüht im Juli und August sehr üppig und ist grundsätzlich sehr attraktiv für Bestäuber wie Schwebfliegen, Wild- und Honigbienen. In welchem Maße Honigbienen genau profitieren, soll ein Monitoring zeigen, das die Firma apic.ai in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn und der NWG-Arzneipflanzen durchführte. Die Auswertung wird ab Juni 2022 erwartet.

Foto: Anne-Marie Stache/Julius Kühn-Institut

Mit der NWG-Arzneipflanzen möchte Stache dazu beitragen, dass Züchter in absehbarer Zukunft für hiesige Verhältnisse gut geeignete Sorten entwickeln können. Dazu hat das Team in Feldversuchen insgesamt 35 Akzessionen phänotypisch bonitiert. Den Mindestgehalt an ätherischem Öl von 2 Prozent, den das Europäische Arzneibuch für arzneilich genutzte Anis-Samen vorschreibt, haben alle Akzessionen erreicht. Hinsichtlich weiterer günstiger Eigenschaften – schnelle Keimung auch bei kälteren Temperaturen, zügige Jugendentwicklung, Standfestigkeit, Ertrag und Geschmack – konnten interessante Kandidaten identifiziert werden, die mit den schwierigen Bedingungen im zu nassen und zu kalten Anbaujahr 2021 gut zurechtgekommen sind. Mit Spannung warten alle Beteiligten darauf, ob sich diese Herkünfte auch in 2022 bewähren.

Um einen Eindruck von der genetischen Varianz der geprüften Akzessionen zu bekommen, wurden diese genotypisiert. Mit den Informationen lässt sich der Verwandtschaftsgrad der Akzessionen untereinander bestimmen.

Versuche zum optimalen Aussaatzeitpunkt ergaben, dass dieser zwischen Anfang April und Mitte Mai liegt, da spätere Termine den Ätherisch-Öl-Gehalt verringern. Es zeigte sich außerdem, dass die Jungpflanzen Spätfröste im April bis minus 5 Grad überstehen können.

Einer Verunkrautung im Anisanbau lässt sich durch eine Vorauflauf-Spritzung vorbeugen, Herbizide dafür sind erlaubt, nicht jedoch für die Behandlung der Kultur selbst. In trockenen Jahren ist aber auch eine mechanische Unkrautkontrolle gut möglich. Ein Problem stellt hingegen die mangelnde Verfügbarkeit von Fungiziden dar, denn als Schaderreger an Anis kommen vor allem Pilze vor. Lana-Sophie Kreth bestimmt diese in der NWG-Arzneipflanzen anhand von Proben aus den Feldversuchen und aus der Praxis. Bislang wurden vor allem Vertreter der Gattungen Fusarium (Schadbild rote Blattverfärbung) und Alternaria (Schadbild braune Blattflecken) gefunden. Für die häufig vorkommende Verschwärzung von Dolden und Samen ließ sich der Verursacher hingegen nicht abschließend klären. Es wurde eine Vielzahl von Fusarium- und Alternaria-Spezies und Botrytis cinerea an den Dolden gefunden.

Anbauer aus der Praxis sind aufgerufen, Proben eigener befallener Pflanzen einzusenden (auch Proben von Johanniskraut), um das Schaderreger-Spektrum noch besser zu erfassen. Kontakt: lana-sophie.kreth(bei)julius-kuehn.de.

Warum ist Anis trotz aller Schwierigkeiten in Deutschland anbauwürdig? Stache hat bei vielen Landwirten ein großes Interesse an dieser Kultur festgestellt. Sie sieht Chancen vor allem in der Erzeugung qualitativ hochwertiger Ware und im Bioanbau. Verarbeiter wie die österreichische Firma Sonnentor seien bereits von Importware auf eigene Anbauverträge umgestiegen, weil der Besatz mit problematischen Unkräutern vorher zu groß gewesen sei.

Tisch im Freien m. 2 Gläsern Ouzo u. Fisch, im Hintergrund ein Fischerboot.

Bekanntes Produkt, dem Anis seinen typischen Geschmack verleiht: Ouzo.

Foto: viperagp – stock.adobe.com

Süßholz

Die meisten Süßholz-Arten aus der Gattung Glycyrrhiza sind im Mittelmeerraum und in Asien heimisch. Noch vor etwa 100 Jahren gab es auch in Deutschland im Bamberger Raum einen bedeutenden Anbauschwerpunkt, dort wurden Vertreter der G. glabra angebaut.

Weil die Pflanze sehr tolerant gegenüber Schwankungen von Temperatur und Wasserangebot ist, könnte sie im Zuge des Klimawandels wieder interessanter für den heimischen Anbau werden. Zudem wächst Süßholz auch auf sandigen Böden.

Während traditionell der Wurzelsaft etwa zur Herstellung von Lakritz verwendet wird, interessiert sich Sophie Bliedung in der NWG-Arzneipflanzen für die Inhaltsstoffe der Blätter. Dass diese eine fungizide Wirkung haben, die zum Beispiel Braunfäule an Tomaten zu 100 Prozent mindern kann, ist schon länger bekannt, man weiß aber noch nicht, welche Substanzen dafür konkret verantwortlich sind. Bliedung nahm 2020 Kandidatenpflanzen verschiedener Glycyrrhiza-Arten in Kultur, stellte aus den Blättern Extrakte her und testete deren Hemmwirkung gegen verschiedene Phytopathogene in Bioassays im Labor. Tests direkt an Pflanzen stehen noch aus. Im Ergebnis zeigten vor allem die G. glabra- und G. uralensis-Arten eine Hemmwirkung gegen Fusarium culmorum, Fusarium sambucinum, Botryrtis cinerea (Grauschimmel) oder Colletotrichum-Spezies (Rotwelke, typische Johanniskraut-Krankheit). Eine aufkonzentrierte Unterfraktion der besten Extrakte konnte zum Beispiel das Wachstum von Fusarium culmorum um bis zu gut 80 Prozent gegenüber einer Probe ohne Fungizid hemmen. Untersuchungen zeigten, dass diese Unterfraktion nur einen einzigen Wirkstoff enthielt, dessen Name mit dem Abschlussbericht in 2023 publiziert werden soll. Auch wenn das konventionelle Referenz-Fungizid Tebuconazol im Vergleich eine höhere Hemmwirkung erreichte, sind die Ergebnisse nach nur zwei Jahren Projektlaufzeit doch äußerst vielversprechend. Im weiteren Projektverlauf sollen neben der Testung an Pflanzen u. a. auch andere Wirkstoffe der gleichen Verbindungsklasse geprüft werden.

5 Menschen hacken ein großes Süßholzbeet

Die Bamberger Süßholzgesellschaft hat die alte Tradition in der Region wiederbelebt und baut inzwischen gut 0,3 Hektar Süßholz an. Die daraus hergestellten Bio-Süßholzprodukte wie Tees oder Pulver als Gewürz und Zuckerersatz werden über lokale Partner vermarktet. Foto: MUSSÄROL Bamberger Kräutergärtnerei + Bamberger Süßholzgesellschaft

Johanniskraut

Zahlreiche Phytopharmaka beruhen auf Zubereitungen aus Johanniskraut (Hypericum perforatum). Die jährliche Nachfrage in Deutschland liegt bei 580 Tonnen Rohdroge. Dem Anbauer verspricht die Kultur eine hohe Wertschöpfung pro Flächeneinheit, Voraussetzung ist jedoch eine sehr gute Qualität. Bei der Ernte entscheidet der Zeitpunkt maßgeblich über das Wirkstoffprofil: Je früher, desto mehr Hypericin und je später, desto mehr Hyperforin befindet sich im Erntegut. Beide Wirkstoffe werden vom Markt nachgefragt, wobei Hypericin der prominenteste Wirkstoff ist, für den eine starke antivirale und antibakterielle Wirkung diskutiert wird. Beide Wirkstoffe werden auch als Anti-Depressivum genutzt. 

Ahmed El Menuawy hat in der NWG-Arzneipflanzen 52 Hypericum-Akzessionen angebaut, davon 24 H. perforatum-Akzessionen aus ganz Europa und 28 Akzessionen anderer Arten wie H. montanum und H. maculatum. An diesen Pflanzen wurden agronomische Eigenschaften und die Gehalte von Hypericin und Pseudohypericin erfasst. Im Ergebnis unterschieden sich die Akzessionen agronomisch vor allem in dem um bis zu 40 Tage variierenden Blühzeitpunkt, der in der Praxis für eine Steuerung des Erntezeitpunkts relevant ist. Auch beim Hypericin- und Pseudohypericin-Gehalt war die Bandbreite sehr groß; es gab Akzessionen, die die im Europäischen Arzneibuch vorgeschriebenen Mindestgehalte um ein Vielfaches überstiegen und damit für die Züchtung besonders interessant sind. Außerdem stellte sich ein Großteil der Akzessionen als tetraploid heraus.

El Menuawy untersucht zudem im Rahmen eines Auslands-Stipendiums am Universitätsklinikum Oslo, welche Hypericum-Wirkstoff-Fraktionen eine Wirkung bei der Alzheimer-Demenz zeigen. Eine Behandlung mit Johanniskraut kann die Menge der Alzheimer-typischen, krankhaften Eiweißablagerungen im Gehirn deutlich verringern - diese in Tierversuchen mit Mäusen erzielten Ergebnisse wurden bereits 2013 von der Neurowissenschaftlerin Jacqueline Hofrichter veröffentlicht. Auf dieser Basis entstand die Idee, im Rahmen der NWG-Arzneipflanzen die dafür verantwortlichen Inhaltsstoffe näher zu bestimmen. Die Arbeiten dazu dauern derzeit noch an. Lassen sich verantwortliche Wirkstoffe identifizieren, könnte man daraus ein Züchtungsziel ableiten und im Akzessions-Set gezielt nach Kandidaten suchen, die diesen Wirkstoff bereits in überdurchschnittlicher Menge produzieren. Für 2022 plant El Menuawy außerdem, weitere Akzessionen am JKI-Standort in Quedlinburg zu untersuchen, darunter auch Herkünfte aus Norwegen.

Blühendes Johanniskraut

Aktuell können Medikamente neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz nur verlangsamen, jedoch nicht stoppen. „Ein Präparat aus Johanniskraut, das Alzheimer wirklich aufhält, wäre eine Sensation“, so Professor Frank Marthe beim Workshop. Ahmed El Menuawy untersucht in der JKI-Nachwuchsforschergruppe die Wirkstoffe und Wirkstofffraktionen, die dafür in Frage kommen. Foto: Johannes Kaufmann/Julius Kühn-Institut

Phytopathogene

Lana-Sophie Kreth untersucht in der NWG-Arzneipflanzen die an Anis und Johanniskraut vorkommenden Schadpilze. Bislang konnte sie von Pflanzen- und Samenproben insgesamt 821 Pilze isolieren und 216 davon charakterisieren. Bei Anissamen dominieren Altenaria- und Fusarium-Arten. Beim Johanniskraut spielt die Johanniskrautwelke eine große Rolle, deren Erreger zum Colletotrichum gloeosporioides-Artenkomplex gehört und durch das Saatgut übertragen wird.

Zu den für die Praxis besonders interessanten Arbeiten von Lana-Sophie Kreth gehört das Rotwelke-Resistenzscreening verschiedener Johanniskraut-Akzessionen. Beim ersten Durchgang zeigten sich je nach Herkunft große Unterschiede in der Anfälligkeit der Pflanzen. Leider ließen sich die Ergebnisse bei einer Wiederholung des Screenings nicht eindeutig reproduzieren, so dass sich jetzt noch ein 3. Durchgang anschließen soll.

Johanniskraut mit Rotwelke

Die Rotwelke bei Johanniskraut kann große wirtschaftliche Schäden verursachen. Foto: Lana-Sophie Kreth/Julius-Kühn-Institut

Ausblick

Zunächst noch bis Ende Mai 2023 wird die NWG-Arzneipflanzen vom BMEL über die FNR gefördert. Professor Frank Marthe vom Institut für Züchtungsforschung an Gartenbaulichen Kulturen und Obst am JKI in Quedlinburg, Leiter der NWG-Arzneipflanzen, zeigte sich beim Workshop sehr zufrieden mit dem bisher Erreichten. Er betonte die große gesellschaftliche Relevanz der bearbeiteten Themen: Die Bereicherung der Fruchtfolgen mit insektenfreundlichen Kulturen, biobasierter Pflanzenschutz oder Wirkstoffe gegen Alzheimer können Antworten auf aktuelle, drängende Fragen liefern. Voraussetzung dafür ist es, der landwirtschaftlichen Praxis Pflanzenmaterial anzubieten, das in unserem Klima optimal funktioniert und gleichzeitig gezielt auf hohe Gehalte der „richtigen“ Inhaltsstoffe optimiert wurde. Mit entsprechenden Sorten könnten wir im Anbau ein Alleinstellungsmerkmal haben und ökonomische Nachteile wie die im internationalen Vergleich höheren Arbeitskosten wettmachen. Hier sind die Züchtung und als deren Grundlage die Züchtungsforschung gefragt. Die NWG-Arzneipflanzen hat insofern eine Schlüsselposition und kann hier entscheidende Beiträge leisten.

Die Jungforscherinnen und -forscher hoffen, ihre bislang sehr vielversprechenden Arbeiten auch nach 2023 weiter verfolgen zu können. Eine Fortsetzung der BMEL-Förderung ist möglich. Ein Ziel der NWG-Arzneipflanzen wird in jedem Fall schon 2023 erreicht worden sein: Die Förderung des akademischen Nachwuchses im Bereich Arzneipflanzen, einem Nischenthema mit Potenzial.

Die Nachwuchsforschergruppe, im Vordergrund blühende Kräuter, im Hintergrund ein Gewächshaus.

Kick-off-Treffen der NWG-Arzneipflanzen im Jahr 2020. Foto: Julis-Kühn-Institut