PflanzenFachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.

 

Arzneipflanzenproduktion

Auch heute werden weltweit noch viele Arzneipflanzen an ihren natürlichen Standorten gesammelt. Vor allem Pflanzen, die in Deutschland nicht oder nur unter Veränderung der Inhaltsstoffzusammensetzung anbaubar sind und die nur in kleinen Mengen für die Phytopharmakaherstellung benötigt werden, stammen häufig aus Wildsammlungen. Zwar liefern sie kostengünstige Rohstoffe und bieten den Menschen in strukturschwachen Gebieten der Erde eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle. Die Qualität der Rohware im Hinblick auf Art und quantitative Zusammensetzung der Inhaltsstoffe ist jedoch oft nicht kalkulierbar, denn sie schwankt je nach Standortklima, Bodenqualität und Verarbeitungsverfahren. Mögliche Verunreinigungen durch Pflanzenschutzmittel, Mikroorganismen oder Schwermetalle können erst nach Abschluss der Wildsammlung mit Hilfe von Laboruntersuchungen festgestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt ist ein korrigierender Eingriff in der Regel nicht mehr möglich, belastete Chargen müssen verworfen werden.

Die genannten Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass insbesondere die Arzneipflanzen, die in großen Mengen zu Phytopharmaka verarbeitet werden, systematisch angebaut werden. Die Ursprünge des heimischen Anbaus liegen in den Klostergärten des Mittelalters, wo Arzneipflanzen gezielt für medizinische Zwecke kultiviert wurden. Auch heute noch laufen Untersuchungen zur Anbaubarkeit von Arzneipflanzen. Zuletzt in Deutschland durchgeführte Forschungsarbeiten betreffen u. a. Weißdorn, Adonisröschen, Rosenwurz sowie chinesische Heilpflanzen.

Der Anbau von Arzneipflanzen bietet den Vorteil, dass die Inhaltsstoffspektren der pflanzlichen Rohstoffe in qualitativer und quantitativer Hinsicht im Vergleich zur Wildsammlung relativ konstant und reproduzierbar sind. Zugleich gibt es Belege für Herkunft der Arzneipflanzen und Abwesenheit überhöhter Schadstoffkonzentration wie z. B. von Schwermetallen, Pflanzenschutzmitteln und Mikroorganismen, da sich viele Anbaubetriebe verpflichten, Leitlinien zur "Guten Landwirtschaftlichen Praxis" einzuhalten. Diese Leitlinien beinhalten Vorgaben zu Saatgut, Bodenbeschaffenheit, Düngung, Bewässerung, Ernte, Trocknung und Lagerung. Dank des Anbaus von Arzneipflanzen verfügen die Arzneimittelhersteller für die Produktion von Phytopharmaka so über einheitlich große Partien von Arzneipflanzen mit standardisierter Qualität und hohem Dokumentationsstand.

Leicht ist die Inkulturnahme von neuen, bislang nicht angebauten Arzneipflanzen nicht. In der Regel bedarf sie eines nicht unerheblichen Versuchszeitraums, insbesondere wenn es sich um Gehölze oder Bäume handelt. Die Inkulturnahme krautiger Pflanzen beispielsweise dauert mindestens fünf Jahre, für Gehölze muss man noch längere Versuchsphasen einrechnen. Die Inkulturnahme von Arzneipflanzen ist daher teuer und mit Risiken behaftet. Hat sie Erfolg, ist auch der Anbau von Arzneipflanzen meist mit gegenüber der Wildsammlung höheren Kosten verbunden, da er arbeitsaufwendig und energieintensiv ist.

Der Anbau von Arzneipflanzen hat dennoch eine lange Tradition. In Deutschland findet er bevorzugt in den Bundesländern Thüringen, Bayern, Hessen und Nieder­sachsen statt; diese Länder decken über 70 Prozent des heimischen Arzneipflanzenanbaus ab. Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die wichtigsten in Deutschland produzierten Arzneipflanzen sowie die Flächen, die durch den Anbau der Pflanzen gebunden werden.

Feldmäßiger Anbau von Echter Kamille (Chamomilla recutita L. RAUSCHERT

Foto: Feldmäßiger Anbau von Echter Kamille (Chamomilla recutita L. RAUSCHERT), Fotolia

Die Tabelle zeigt, dass der Anbau von Arzneipflanzen nur wenig Fläche bindet. Als Vergleich mag die Anbaufläche für Winterweizen dienen, die bei ca. 3 Millionen ha liegt.

Für spezialisierte Anbaubetriebe stellt der Arzneipflanzenanbau dennoch eine wichtige Einkommensquelle dar, wenn die Abnahme, vorzugsweise über Anbauverträge, gesichert ist. Innerhalb Deutschlands hat sich ein System aus Arzneipflanzen produzierenden und verarbeitenden Unternehmen etabliert, das eine kostendeckende Produktion der pflanzlichen Rohstoffe ohne weitere Subventionen seitens des Staates ermöglicht.

Durch den Arzneipflanzenanbau werden Arbeitsplätze in den teils strukturschwachen ländlichen Gebieten erhalten und geschaffen. Arzneipflanzen sorgen für Biodiversität, bereichern die Kulturlandschaft und ihr Anbau hilft, das Image der Landwirtschaft zu verbessern.

Handlungsbedarf besteht jedoch bezüglich der Inkulturnahme weiterer Arten, der züchterischen Optimierung des verwendeten Pflanzenmaterials, der Entwicklung neuer technischer Verfahren bei Anbau, Ernte, Trocknung und Entkeimung sowie der Bekämpfung von Schaderregern. Mit Unterstützung u. a. des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) konnten in zahlreichen Forschungsvorhaben bereits erhebliche Fortschritte erzielt werden.

Sie führten dazu, dass zunehmend hochwertige Rohstoffe für die Herstellung von Phytopharmaka produziert werden können und sich die bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Arzneipflanzenanbau und phytopharmazeutischer Industrie intensivieren lassen.

In Deutschland angebaute Arzneipflanzen (Hoppe: Studie zum Stand des Anbaus von Arznei- und Gewürzpflanzen in Deutschland (2003) und Abschätzung der Entwicklungstrends in den Folgejahren. 16. Bernburger Winterseminar 2006)